Das 4C/ID Modell des (digitalen) Lernens

Wenn wir moderne, lehrreiche und nachhaltige E-Learning-Dienstleistungen anbieten möchten, müssen wir immer auf dem neusten Stand sein. Dazu zählen auch Erkenntnisse aus der Wissenschaft. Für uns besonders spannend sind Forschungsbefunde in den Gebieten «Lern- und Kognitionspsychologie», «Neuropsychologie» und «pädagogische Psychologie». In diesem Beitrag zeigen wir anhand des Vier-Komponenten-Instruktionsdesign-Modells (auch als 4C/ID bekannt) nach van Merriënboer, wie wir Erkenntnisse aus der Wissenschaft in unsere tägliche Arbeit einbinden.

somedia learning simone pauli

Autorin: Simone Pauli; Senior Beraterin, Projektleiterin, Mitglied der GL
Datum: 22. April 2022
Lesedauer: 3 Minuten

4C/ID: Ein zentrales Modell des (digitalen) Lernens

Das 4C/ID Modell wurde ursprünglich dafür entwickelt, komplexe kognitive Fähigkeiten zu trainieren. Dies sind Fähigkeiten in Bereichen, in denen der Aufbau von Expertise viel Zeit benötigt.

Das Modell lässt sich aber auch für weniger komplexe Lernszenarien anwenden. Das heisst, ob man nun eine Integrationsrechnung durchführen muss oder es nur um das Auflösen einer einfachen mathematischen Gleichung geht – mithilfe des 4C/ID Modells lassen sich beide mathematischen Aufgaben so erklären, dass die Zielpersonen sie danach verstehen.

Um effektives Lernen zu ermöglichen, also Lernerfolg zu erzielen, ist es wichtig, das Arbeitsgedächtnis nicht zu überlasten. Das 4C/ID Modell versucht durch die Anknüpfung von neuem Wissen an bereits vorhandenes Wissen genau diese kognitive Überlastung zu vermeiden.

Alltagsnahen Problemstellungen kommt eine besondere Bedeutung zu – sie können am besten verknüpft werden und verbrauchen aufgrund ihrer «Bekanntheit» wenig kognitive Ressourcen.

Das 4C/ID Modell zeichnet sich durch vier Komponenten aus

1. Lernaufgaben

Diese sollen möglichst konkret, bedeutungsvoll und authentisch sein. Zu Beginn werden die User:innen bei der Lösung der Aufgabe unterstützt. Die Unterstützung nimmt im weiteren Verlauf dann ab, bis sie komplexe Aufgaben alleine bewältigen können. Das Wissen wird so automatisiert.

Beispiel aus der Praxis: In einem Lernprogramm zum Thema Brandschutz haben wir während des gesamten Trainings immer wieder realistische Situationen eingebaut, in denen sich die User:innen für das korrekte Verhalten entscheiden müssen. Zu Beginn des Lernprogramms wird die Theorie vermittelt, dann wird den Usern anhand von Beispielen der korrekte Weg gezeigt, und schliesslich müssen sie die Entscheidungen selbst treffen und Testfragen beantworten.

EVAK: Verhalten im Notfall

Die User:innen befinden sich hier in einer bestimmten Situation und müssen sich für die korrekte Reaktion entscheiden. Dafür stehen ihnen zwei Auswahlmöglichkeiten zur Verfügung. Entscheiden sie sich falsch, erhalten sie ein Feedback inkl. Erklärung und müssen die Frage erneut beantworten.

 

2. Unterstützende Informationen

Sie sind wichtig, damit User:innen neue Fähigkeiten erwerben. Die Informationen unterstützen sie in der Verknüpfung von neuem mit bereits vorhandenem Wissen. Im Sinne eines Vorführmodells werden den Usern richtige Vorgehensweisen, Lösungen oder Strategien gezeigt, damit sie diese dann in ihre alltäglichen Handlungen integrieren können.

Beispiel aus der Praxis: In den interaktiven Videos zum Thema IT-Sicherheit begleiten wir eine Mitarbeiterin während eines Arbeitstages. In Schlüsselsituationen werden die User:innen auf entsprechende Gefahren und Regeln aufmerksam gemacht.

Micarna: Blogbeitrag IT Sicherheit 3

Das Video zeigt, wie die Person am Arbeitsplatz ankommt und den PC startet.

Micarna: Blogbeitrag IT Sicherheit 6

Bei der Eingabe des Passworts stoppt das Video und die User:innen erhalten auf interaktiven Folien Infos über die Wahl eines geeigneten Passworts.

3. Prozedurale Informationen

Diese Informationen sind immer im richtigen Moment verfügbar und sorgen dafür, dass Problemstellungen richtig gelöst werden. Schritt für Schritt erhalten die User:innen die Informationen, die für die korrekte Ausführung ihrer Tätigkeit wichtig sind. Damit einer Überlastung der User:innen vorgebeugt werden kann, erfolgen die Informationen in kleinen Einheiten. Die User:innen sollen dann immer weniger auf diese Informationen angewiesen sein, je mehr Lernaufgaben sie bereits gelöst haben.

Zu dieser Komponente des 4C/ID Modells könnte man sicherlich auch adaptive Lernwege schaffen. Das würde heissen, dass die Informationen den Usern zwar zur Verfügung stehen, dass sie sie aber nur dann nutzen, wenn sie noch nicht Teil ihres Wissensschatzes sind. Adaptive Szenarien sind jedoch aufwändiger in der Produktion und werden deshalb oft aus Budgetgründen weggelassen.

Beispiel aus der Praxis: In einer Kassensystem-Schulung  erfahren die User:innen alle relevanten Punkte Schritt für Schritt. Nach jeder kurzen, erklärenden Einheit müssen sie selbst aktiv werden. Zudem sind zwischendurch sowie am Schluss jedes Kapitels Übungsfragen eingebaut, damit die User:innen das erworbene Wissen festigen können.

4. Übung von Teilaufgaben

Die User:innen bearbeiten sich wiederholende Übungen. Durch das mehrfache Durchführen der (mehr oder weniger) gleichen Aufgabe ist das erworbene Wissen automatisch abrufbar und wird zur Routine. Bei der Übung von Teilaufgaben geht es auch darum, den Praxistransfer sicherzustellen.

Beispiel aus der Praxis: In den Lernprogrammen der Flughafen Zürich AG sind sowohl am Kapitelende wie auch zwischendurch immer wieder Übungsfragen eingestreut. Gewisse Lerninhalte werden zwar mehrfach abgefragt, die Fragen und somit auch die Art der Übungen unterscheiden sich jedoch. Durch das mehrfache Üben des Gelernten ist das erworbene Wissen nachhaltiger abrufbar.

FZAG: Fragefolie

4C/ID in unserem Alltag

Das 4C/ID Modell nimmt in unseren digitalen Lernmedien einen wichtigen Platz ein – oft setzen wir die vier Komponenten auch unabhängig voneinander ein. Trotzdem sorgen wir so dafür, dass die User:innen wirklich etwas lernen und das nicht so schnell wieder vergessen. Denn so geht effektives Lernen!

Natürlich ist das 4C/ID Modell, wie die Wissenschaft ebenfalls, nicht abschliessend; es gibt viele weitere Aspekte, die beim (digitalen) Lernen beachtet werden müssen. Einige davon haben wir Ihnen in vergangenen Blogbeiträgen bereits nähergebracht, andere wichtige Modelle des Lernens sowie wissenschaftliche Erkenntnisse, die für E-Learning-Szenarien wichtig sind, werden wir Ihnen gerne in weiteren Blogbeiträgen vorstellen.

Quellen

  • Malzahn, Katharina, 2014: Schulung von Mitarbeitern des Lehrgebiets einer Fernuniversität in der Kompetenz: «Eine Präsenzveranstaltung durchführen».
  • Riess, Werner und Mischo, Christoph, 2017: Das Modell problemorientierten Lehrens und Lernens (MopoLL) – Auf dem Weg zu einem evidenzbasierten Unterrichtsverfahren zur Förderung komplexer dynamischer Problemlösefähigkeiten in der Biologie. Biologie Lehren und Lernen – Zeitschrift für Didaktik der Biologie 21, 1-10.
  • Stegmann, Karsten et al., 2018: Lehren und Lernen mit digitalen Medien. In: Tippelt, Rudolf und Schmidt-Hertha, Bernhard (Hrsg.): Handbuch Bildungsforschung (967-988). Wiesbaden: Springer VS.
  • van Merriënboer, Jeroen, 1997: Training Complex Cognitive Skills. A Four-Component Instructional Design Model for Technical Training. New Jersey: Educational Technology Publications.
  • Vogel, Cathrin, Weidlich, Joshua und Bastiaens, Theo, (n. d.): Instructional Design und Medien.

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